Mittelpaläolithischer Lagerplatz in der Lurgrotte-Peggau (Steiermark)
von Florian A. Fladerer & Gerald Fuchs
Abstract:
Middle Palaeolithic Encampment in the Lurgrotte-Peggau (Styria, Austria)
The well-known dripstone cave is situated in the Mur Valley about 22 km north of Graz in the Central Styrian karst area. The entrance opens at 416 m a.s.l., just a few meters above the valley floor. About one kilometer to the north the main valley narrows to a river gorge. This area is known for Middle and Upper Palaeolithic cave sites. The Repolust Cave is the oldest (c. 200,000 years) site so far known from the Eastern Alps.
In the entrance of the Lurgrotte, sediments are exposed in a 7 m high section, which was prepared for documentation and display purposes in three short excavation campaigns from 1997 to 1999. The lower part consists of a (?Middle) Pleistocene fluviatile sequence. The upper part, which includes the Middle Palaeolithic cultural layers, consists of rock debris derived from local limestone with a silty and loamy matrix. The land snails within this complex indicate open to shady habitats in a cold and less humid climate. Arboricole small mammals, such as glirids, suggest temperate conditions.
The Middle Palaeolithic site is confined to a one meter high part of the profile and consists of several layers. The excavation area extends over only one square meter. From this area 17 quartz artifacts and a modified distal humerus from a reindeer (Rangifer tarandus) give clear evidence of at least one hunting episode at the corridor site in the Mur Valley. Two impact notches on the long bone fragment indicate cracking for marrow exploitation. The reindeer bone gave an AMS-date of 52.4 +3.1/-2.2 ka B.P. (VERA-0069). It represents the first stratified and radiocarbon-dated evidence of a prey species in primary context with Middle Palaeolithic artifacts in the Eastern Alps.
Murtal bei Peggau mit der Talenge von Badl. Lurgrotte-Peggau (Nr. 15),
Steinbockhöhle (17), Tunnelhöhle (8), Große Badlhöhle (16), Repolusthöhle (20).
Topografie und Forschungsgeschichte
Eingang der Lurgrotte-Peggau,
Briefmarke (1994).
Lurgrotte-Peggau, Profil 2 in der Vorhöhle:
Mittelpaläolithische Fundschichten im oberen
Profilbereich.
Die Lurgrotte (Österr. Höhlenkataster Nr. 2836/1) durchquert als bedeutendes Höhlensystem die Tanneben, einen Karststock zwischen den Ortschaften Semriach und Peggau, rund 22 km nördlich von Graz. Der untere Eingang in Peggau liegt am Rande des Murtales unmittelbar südlich der markanten Engstelle bei Badl, wo sich der Talboden auf nur 150 m Breite verengt. Die Abhänge weisen eine bemerkenswerte Häufung altsteinzeitlicher Höhlenfundplätze auf, von denen vor allem die Repolusthöhle und die Große Badlhöhle im Badlgraben, die Tunnelhöhle am Kugelstein und die Steinbockhöhle zu nennen sind.
Das Höhlensystem der Lurgrotte ist als Schauhöhle erschlossen. Früher stürzte der Schmelzbach über eine Felsstufe aus dem Peggauer Eingang der Lurgrotte. Um 1920 wurden die Höhlenräume hinter dem Eingang trocken gelegt (Abb. 2) – der Bach fließt heute unterhalb des Portals aus dem Entwässerungsstollen. In einem kleinen Seitenteil westlich des Portals, der sog. Vorhöhle, wurde ein „Höhlenmuseum" eingerichtet. Bei Ausräumungsarbeiten wurden pleistozäne Höhlensedimente abgetragen, wobei Tierreste und einige heute verschollene Quarz-Artefakte aufgesammelt worden sind.
Aus Anlass des 2. Europäischen Paläontologen-Kongresses 1997 mit einem Exkursionspunkt in der Lurgrotte-Peggau wurde begonnen, diese Aufschlüsse zu präparieren. Dabei wurden in Profil 2 orginale mittelpaläolithische Fundschichten nachgewiesen. Bis 1999 konnte die vollständige Dokumentation der über 7 m mächtigen Schichtfolge (Abb. 3) abgeschlossen werden.
Wo lag der alte Höhleneingang?
Oberhalb von Profil 2 endet der befahrbare Höhlenraum in einem Versturz. Die Neigung des Versturzkegels weist darauf hin, dass das Material von oben her eingebracht worden ist und wahrscheinlich einen alten Zugang in die Höhle verschließt. Die Situation konnte 1999 durch eine Vermessung weitgehend geklärt werden. Es lässt sich zeigen, dass der Versturz obertägig mit einer Schutthalde zusammen fällt. Hier dürfte der Höhlenraum durch die Hangerosion angeschnitten und in der Folge mit Bruchschutt verfüllt worden sein. Es ist daher zweifelhaft, ob der Neandertaler die Höhle jemals durch den Haupteingang betreten hat, aus dem vor der touristischen Erschließung der Schmelzbach floss. Wegen der Steilheit des Geländes liegen die altsteinzeitlichen Fundschichten heute in 8 bis 9 m Tiefe. Es wird erwartet, dass die pleistozänen Höhlensedimente des Eingangsbereiches großteils noch erhalten sind.
Lurgrotte-Peggau, Vorhöhle. Übersicht der Profilsituation. (Zum Vergrößern bitte auf Bild klicken)
Lurgrotte-Peggau, Profil 2 – oberer Abschnitt mit den altsteinzeitlichen Fundschichten. (Zum Vergrößern bitte auf Bild klicken)
Die Funde
Oberarmknochen vom Rentier
(Rangifer tarandus) aus Schicht 54
Das paläolithische Fundmaterial stammt aus den Schichten 53, 54, 55a und 55b von Profil 2 (vgl. Abb. 5). Dieses „Schichtpaket" ist knapp 1 m mächtig. Nur hier im rund 7 m hohen Sedimentaufschluss wurden archäologische Funde festgestellt. Die rund 1 m² große Grabungsfläche ist bei der Herstellung dokumentierbarer Profile entstanden. Das dabei anfallende Sediment wurde nach stratigrafischen Einheiten getrennt und durch Schlämmen aufbereitet. Aus diesem kleinen Bereich wurden insgesamt 17 Artefakte geborgen.
Ein fragmentierter Oberarmknochen eines Rentiers (Abb. 6) weist deutliche Zerlegungsspuren in Form von Schlagmarken auf. Diese Art der Zerstörung mit dem Ziel der Markgewinnung ist von zahlreichen anderen Fundstellen bekannt und kann auch heute noch z.B. bei Eskimos beobachtet werden.
Abschlag aus Quarz, Profil 2, Schicht 55b
Zeitstellung, Klima und Ökologie
Sichten und Auslesen von
Tierresten aus einer Siebfraktion.
Eine Radiokarbon-Datierung des Rentierknochens mittels AMS am Institut für Radiumforschung und Kernphysik der Universität Wien ergab ein Alter von 52.400 +3.100/-2.200 Jahren vor heute (VERA-0069). Zwei weitere AMS-Datierungen von Knochen aus den altsteinzeitlichen Fundschichten liegen bei 47.100 +2.300/-1.800 (VERA-1300) und 41.100 +1.000/-900 (VERA-1299) Jahren vor heute. Demnach sind die Fundschichten in Profil 2 in das späte Mittelpaläolithikum zu stellen und die Nutzung der Lurgrotte durch Neandertaler erscheint damit begründet. Das bisher vorliegende Inventar an Steinartefakten ermöglicht noch keine genauere kulturelle Einordnung. Die Mollusken und andere Tierreste passen gut zum Radiokarbonalter.
Die Molluskengemeinschaften aus den Schichten SE 51 bis 53 sind nach Ch. Frank aufgrund der Steilheit der unmittelbaren Höhlenumgebung felsenbetont, beinhalten aber einen relativ hohen Anteil von Offenlandformen neben Anzeigern von Waldstandorten. Es lassen sich lokal weitgehend offene Verhältnisse unter kühl bis kalt trockenem Klima rekonstruieren. Die Landschneckenreste aus SE 55 entsprechen einem äußerst spärlich bewachsenen, weitgehend offenen Felshabitat unter kalten bis mäßig feuchten klimatischen Bedingungen.
Unter den wenigen Großsäugetierresten konnten neben dem Rentier (Rangifer tarandus aus SE 54) der Steinbock (Capra ibex), Biber (Castor fiber), Hasen (Lepus sp.) und Bären (Ursus spelaeus, Ursus sp. indet. aus SE 51) bestimmt werden. Ein dickes kompaktes Knochenfragment aus Profil 2c kann nur einem sehr großen Herbivoren (?Mammut, Nashorn) angehört haben. Weiters liegen Reste von Kleinsäugern, Vögeln, Schlangen und Fischen vor, deren wissenschaftliche Bearbeitung teilweise noch aussteht.
Die stratigrafisch tieferen sand- und kiesreichen Ablagerungen sind äußerst fossilarm. Ein Schwanzwirbel aus SE 4 von Profil 1 wird dem Steinbock zugeordnet. Der tiefere Komplex wird als (zeitliches) Äquivalent oder Derivat der risszeitlichen Murterrasse angesehen.
Ausblick
Die Funddichte im untersuchten Bereich - der einen Randbereich der eigentlichen originalen Fundzone darstellt - ist im Vergleich zu den anderen steirischen Höhlenfundplätzen überdurchschnittlich hoch. Das Potenzial dieser Fundstelle als wichtiger mittelpaläolithischer Fundplatz im Ostalpenraum ist für zukünftige Forschungen vorhanden. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen wären für die Kenntnis der im Gegensatz zu den Nachbarländern in Österreich kaum noch erforschten "Neandertaler-Zeit" dringend notwendig. Durch die touristische Vermarktung des neuen Fundplatzes könnte auch die Region im mittleren Murtal davon profitieren.
Dank
Die Arbeiten konnten durch finanzielle Unterstützung der Marktgemeinde Peggau, der Steiermärkischen Landesregierung, Abteilung für Wissenschaft und Forschung, der Fa. Wietersdorfer und Peggauer Zementwerke GesmbH, des Bundesdenkmalamtes, sowie durch Leistungen ehrenamtlicher Mitarbeiter realisiert werden.
Die Bearbeitung der Steinartefakte wurde von Thomas Einwögerer, der Molluskenreste von Christa Frank (Institut für Paläontologie der Universität Wien) vorgenommen. Harald Polt (Landesverein für Höhlenkunde in der Steiermark) führte die Höhlenvermessung durch.
Literatur
- Th. Einwögerer (1998): Zwei Quarzartefakte aus der Lurgrotte. Archäologie Österreichs, 9/2 Wien, 20 - 21.
- F.A. Fladerer (1997): The Lurgrotte in Peggau. Vertebrate taphocoenoses from middle to latest Pleistocene cave deposits. In: H.A. Kollmann & B. Hubmann (eds.), Excursion Guides, Second European Palaeontological Congress, Wien, 6 - 22.
- F.A. Fladerer (mit Beiträgen von Th. Einwögerer, Ch. Frank & G. Fuchs) (1998): Ein altsteinzeitliches Rentierjägerlager an der Murtalenge bei Peggau? - Mitteilungen des Referats Geologie und Paläontologie am Landesmuseum Joanneum, Sonderheft 2 (Festschrift Walter Gräf), Graz, 155-174.
- F.A. Fladerer (1999): Late Middle and Early Upper Palaeolithic sites in the eastern periphery of the Alps. First palaeoenvironmental yields. In: Neanderthal Museum (ed.), Central and Eastern Europe from 50,000 - 30,000 B.P., International Workshop in the Neanderthal Museum Mettmann, March 18-21, Abstracts, 20-21.
- F.A. Fladerer & G. Fuchs (1998): Peggau [Lurgrotte]. Fundberichte aus Österreich, 36, 1997, Wien, 728.
- F.A. Fladerer & G. Fuchs (1999): Peggau [Lurgrotte]. Fundberichte aus Österreich, 37, 1998, Wien, 676 - 678.
- F.A. Fladerer und E. Wild (1999): Neandertalerzeitliche AMS-Daten von mittelsteirischen Rentierresten. Archäologie Österreichs, 9 (2), 21-23, Wien.
- F.A. Fladerer (2000): Late Quaternary vertebrate taphocoenoses from cave deposits in southeastern Austria: responses in a periglacial setting. - In: M. B. Hart (ed.), Climates: past and present, Geol. Soc. London, Spec. Public. 181, London, 197-211.
- F.A. Fladerer, Th. Einwögerer, Chr. Frank, G. Fuchs, A. Galik, L.Ch. Maul, P. Steier, E.M. Wild (2002): Der neue mittelpaläolithische Fundplatz „Lurgrotte-Vorhöhle" bei Peggau in der Mittelsteiermark. Quartär (im Druck).
Anschrift der Verfasser:
Dr. Florian A. Fladerer
Institut für Paläontologie
Universität Wien, Geozentrum
Althanstr. 14
1090 Wien
Tel. +43-1-4277-53525
Email:
Dr. Gerald Fuchs, ARGIS Archäologie Service
A – 8114 Kleinstübing 56
Tel. +43-3127-28633
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